We are happy to announce that the p.u.re. project is going to start soon! You may read more in english here, or enjoy an interview with Jagna Anderson in German below.
Was sind für euch die wesentlichen Charakteristika einer
site-specific Performance?
Für uns ist das wesentliche die Wahrnehmung. Die sensorische Wahrnehmung kann immer weiter verfeinert und vertieft werden, es ist ein fortschreitender (Lern)Prozeß. Wir arbeiten mit dem sensorischen Körper, den wir sowohl nach der Außen- als auch nach der Innenwahrnehmung befragen. Was nehme ich wahr, wenn ich mich der städtischen Umgebung zuwende? Wie nehme ich es wahr und zwar heute, gerade jetzt? Wie werde ich von meiner Wahrnehmung affiziert?
Das klingt möglicherweise noch nicht nach einer “Performance” im Sinne der künstlerischen Aktion oder Darbietung. Aber wir halten die Wahrnehmung für die wesentliche Handlung, die zur Entstehung eines neuen, poetischen Raumes führt.
Denn wir gehen davon aus, dass der Raum erst in der Wechselwirkung zwischen Handeln und Strukturen entsteht. Man hält oft die Strukturen, die sich aus der Disposition der (materiellen und sozialen) Güter an bestimmten Orten ergeben, schon für den “Raum”. Dabei werden erst “über Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse Güter und Menschen zu Räumen zusammengefaßt”*.
Wir sind uns also bewußt, dass wir nicht nur mit den vorhandenen Strukturen interagieren, oder uns zum Vorgefundenen verhalten, sondern dass wir bereits durch unsere Präsenz und eine fokussierte Wahrnehmung neue Räume, aber auch neu in-formierte Körper, entstehen lassen. Wir lassen uns von der Frage leiten: wie werde ich von der Stadt geformt und wie forme ich zugleich den Stadtraum?
Eine besondere Aufmerksamkeit richtet ihr in euren Arbeiten auf die
‘Ökologie’ von urbanem Klang und Bewegung. Was bedeutet das genau?
Dass wir den Begriff “Ökologie” mögen, hängt mit dem oben Gesagten zusammen: Ökologie steht für komplexe Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen und ihrer Umgebung. In den 60er Jahren ist die “acoustic ecology” begründet worden, die diesen Begriff von der biologischen oder geologischen Umgebung auf die sonische, akustische Umgebung erweiterte, und zwar sowohl die natürliche als auch die von Menschen gemachte. Wir beschäftigen uns mit dem urbanem Raum als einer Umgebung, die in vielfältigen Wechselbeziehung mit ihren Bewohner*innen und Besucher*innen steht und die in der Gesamtheit ihrer materiellen Erscheinung auf den sensorischen Apparatus einwirkt. Klang und Bewegung sind dabei zwei Ebenen dieser Wechselbeziehung, die für uns am besten greifbar sind und mit denen wir performativ klar interagieren können. Es ist das Spezielle an unserer Gruppe, dass wir uns nicht auf den Klang oder auf die Bewegung konzentrieren, sondern in beiden Bereichen forschen. Da wir uns als “Ökolog*innen” verstehen, ist unser Hauptinteresse, nicht etwa Klang und Bewegung einfach zu erzeugen, sondern den bereits vorhandenen Soundscape und die bereits vorhandenen Alltags- und Arbeitsbewegungen, die mit bestimmten Orten zusammenhängen, als Dialogpartner zu begreifen.
Wie kann man sich den Entstehungsprozess einer site-specific
Performance vorstellen?
Das ist das Schöne an dieser Form von Performance: wir brauchen im Grunde nur sehr genau zuzuhören und zu beobachten. Es ist bereits alles da. Wir betreten eine perfekt vorbereitete Bühne voller Inspiration und Handlungseinladungen. Um diesen Vorgang zu unterstützen, stellen wir uns Aufgaben, die unseren Fokus schärfen. Eine gut gewählte Aufgabe generiert die Performance. Jede aus unserem Ensemble hat besondere Schwerpunkte und Interessen, die wir jeweils als Ansatzpunkt für die Entwicklung einer Performancestruktur wählen können.
Was erwartet die Besucher*innen bei dem ‘p.u.r.e. walk‘?
Ein p.u.r.e. walk ist ein Abenteuer und eine Gelegenheit, das Bekannte neu zu erleben, die Stadt (wieder) zu entdecken und manchmal vielleicht auch neu zu erfinden. Es ist ein 3-D Spektakel, in dem die Stadt die Haupt- und wir die Komparsenrollen spielen. Zugleich ist es eine fast meditative Erfahrung der Entschleunigung, eine kostbare Zeit, in der wir mitten in der belebten Stadt aus dem Alltag heraustreten.
Wir umspielen eine unsichtbare Grenze zwischen Alltagswahrnehmung und performativer Fokussierung. Die Besucher*innen werden erleben, dass sie zum Teil der Performance werden. Eine Gruppe von Menschen, die keinen alltäglichen Zweck verfolgt, wird im öffentlichen Raum sichtbar. Aber wie sichtbar sie ist, können wir als Gruppe und jeweils individuell steuern: welche Rolle auf der Skala zwischen Zeugen und Akteuren möchten wir spielen? Möchten wir unsichtbar werden und mit der Umgebung verschmelzen? Oder wollen wir wieder auftauchen und als Gruppe, in der Wechselwirkung mit der Umgebung, ein performatives Feld, einen poetischen Raum kreieren?
Photo by Roberto Duarte